Eigentlich erwarten wir, bald auf den Weihnachtsmarkt zu treffen. Doch zunächst bietet uns die gotische Kirche St. Georg eine Christbaumausstellung. Mehrere von der Decke hängende Weihnachtsbäume zeigen verschiedene Arten von Baumschmuck. Oblaten, Früchte, Engel aus Gold- oder Silberpapier, Strohsterne – im Laufe der Jahrhunderte änderte sich der Schmuck immer wieder. Im Ausstellungsraum wird das Ein- und Ausgabebuch der Stadt Sélestat von 1517 bis 1522 ausgestellt.
Hier, im Jahre 1521 ist die älteste schriftliche Erwähnung von einem Weihnachtsbaum. Was, der Baum hängt von der Decke? Ja, in früheren Jahrhunderten war das gang und gäbe. Der älteste schriftliche Vermerk auf einen mit Ständer befestigten Christbaum wurde erst im Jahr 1604 verfasst. Damals waren die Ständer aus Holz gefertigt und oft mit Moos und Steinen versehen. Bis die massiven Christbaumständer aus Gusseisen in die Stuben einzogen, vergingen nochmals gut 250 Jahre. Das erste Modell wurde 1866 gegossen.
Vor lauter Weihnachtstraditionen gerät die Kirche selbst trotz ihrer Geschichte und Bedeutung etwas in den Hintergrund. So stand im heutigen Chor einst die Karolingerkapelle, in der Karl der Große anno 775 an der Weihnachtsmesse teilnahm. Und mit dem 60 Meter hohen Westturm zählt der Sakralbau der Eglise Saint-Georges zu den höchsten im Elsass. Gut, das Straßburger Münster überragt diesen mit 142 Meter deutlich. Lange Zeit diente der Turm zur Brandwache. Alle Viertelstunde mussten die Turmwärter die Glocke schlagen um hörbar anzuzeigen, dass sie nicht schlafen. Wer dies vergaß, erwartete eine hohe Strafe. Immerhin haben Brände früher ganze Städte zerstört.
Im 18. Jahrhundert trafen sich die Menschen nach dem Kirchenbesuch meist in einer nahen Gasse. Hier wurde der neueste Klatsch und Tratsch ausgetauscht. In Schlettstadt entstand so die Babelgass, also die Plappergasse. Gleich daneben geht es zum alten Offiziershaus. Ein schmiedeeisernes Tor lässt leider nur eingeschränkte Blicke auf das Herrenhaus zu, welches sich heute im Privatbesitz der Familie Weiller befindet. Die Familie Weiller ist Mitgründer der französischen Luftfahrgesellschaft.
Am alten Sitz der Metzgergilde vorbei, erreichen wir die Stiftskirche Sankt Fides. Die Gräfin Hildegard von Bürren, Urgroßmutter von Kaiser Friedrich Barbarossa, schenkte Ende des 11. Jahrhunderts den Benediktinern von Conques eine Kapelle auf dem Grund der Stiftskirche. Die Benediktinermönche zogen nach Schlettstadt, doch bald wurde es ihnen hier zu eng und sie ließen ein großes Kloster erbauen, welches sie der Hl. Fides weihten. Somit zählt die romanische Kirche zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Eine Besonderheit steht in der Kirchenkrypta.
Bei Restaurierungsarbeiten fanden die Arbeiter eine Totenmaske, von welcher mehrere Abgüsse gefertigt wurden. Es wird vermutet, dass es sich um Hildegard von Bürren oder deren Tochter handelt. Ein sicherer Beweis für diese Annahme fehlt aber, weshalb die Büste die Bezeichnung »die schöne Unbekannte von Schlettstadt« erhielt. Etwas schwierig ist es, in der schmalen Binnenhalle des Eingangs die Umrisse eines Reiters zu finden. Erst bei genauem Hinsehen sind die schwachen Striche auszumachen.
Auf einen Besuch der Humanistischen Bibliothek müssen wir wegen Restaurationsarbeiten verzichten. Dadurch bleibt uns genügend Zeit, um über den Weihnachtsmarkt zu schlendern. Dieser findet beim Hôtel de Ville auf dem Place d'Armes, also dem Waffenplatz direkt vor dem Rathaus statt. Früher wurden hier die Strafen für Hexerei verkündet, heute wird hier gefeiert. Vor Ort wundern wir uns allerdings, wie klein der Markt ist.
Nur ein paar Stände stehen im Kreis. Offenbar ist der Konkurrenzdruck durch das nahe Colmar oder auch durch Straßburg zu groß, um auch hier einen großen Weihnachtsmarkt zu etablieren. Schade eigentlich, wo doch der Weihnachtsbaum gerade hier, in seiner Geburtsstadt eine so große Bedeutung hat. Trotzdem gibt es in Sélestat so einiges zu entdecken und ist das Städtchen sicherlich einen Besuch wert. Uns jedenfalls hat die Schlettstädter Runde gefallen.