Hoch über den Dächern von Orschwiller zieht die Hochkönigsburg die Blicke auf sich. Durch ihre Lage auf einem nach Osten vorspringenden Buntsandsteinfelsen ist die mittelalterliche Burg als bedeutende Landmarke von zahlreichen Burgen am Ostrand der Vogesen zu sehen. Und trotz ihrer deutschen Vergangenheit ist die Burg ein französisches Nationaldenkmal, also ein Monument national. Allein damit besitzt die Hochkönigsburg im Elsass eine Alleinstellung. Mit alljährlich rund 500.000 Besuchern zählt die Festung zu den wichtigsten touristischen Ausflugsorten in der Region und in ganz Frankreich.
Dabei sah es im Lauf der Geschichte lange Zeit gar nicht so aus, als könne die Hochkönigsburg die Zeit überdauern. Im Jahr 1147 ist erstmals von einem Castrum Estufin die Rede, welches von Herzog Friedrich, dem Vater des berühmten Königs Friedrich Barbarosssa, gegründet worden sein. Aus dieser, staufischen Zeit stammen die ältesten erhaltenen Teile der Burg, eine Fensterarkade und ein Löwenrelief. Ab spätestens 1192 ist die Festung als Kinzburg, also Königsburg bekannt. Ein königliches Dasein jedoch blieb dem alten Gemäuer verwehrt.
Nach mehreren Besitzwechseln eroberte der pfälzische Kurfürst Friedrich der Siegreiche die Burg 1454. In den folgenden acht Jahren machte sich die Hochkönigsburg einen Namen als Raubritternest. 1462 wurde sie daher zerstört. Nach weiteren Besitzwechseln erlebte die Burg unter den Schweizer Grafen von Thierstein ab 1479 eine zweite Blütezeit. Sie setzten die Burg wieder intakt und verstärkten die Festungsmauern, sodass diese auch schwerem Artilleriefeuer standhalten sollten. 1517 erlosch das Adelsgeschlecht und fiel das Lehen an die Habsburger zurück.
Das vorläufige Ende besiegelte schließlich der Dreißigjährige Krieg: 1633 zogen schwedische Truppen vor der Hochkönigsburg auf. Nach 52 Tagen der Belagerung gelang es ihnen, die Burg am 7. September einzunehmen und in Brand zu setzen. Die Hochkönigsburg teilt damit das Los mit einer ganzen Reihe weiterer mittelalterlicher Burgen, die vor allem nach dem Eintritt von Schweden in den Krieg (1630) zerstört wurden. In den nächsten 200 Jahren stand die Burgruine leer und war dem weiteren Verfall preisgegeben.
Die Wende erfolgte 1862 mit der Unterschutzstellung als Denkmal. Nachdem das Elsass 1871 wieder deutsch geworden war, hatten die Bürger von Schlettstadt bzw. Séléstat Pläne für den Wiederaufbau gefasst. Allerdings fehlten ihnen die finanziellen Mittel, um die 1882 erstellten Pläne umzusetzen. Um das Vorhaben dennoch realisieren zu können, schenkten sie die Festung 1899 Kaiser Wilhelm II.. Dieser sah sich durch die lange Geschichte der Burg in der Pflicht, die Festung als sein kaiserliches Erbe anzunehmen.
Angeblich sollen die Schlettstädter mit geschickt angebrachten Insignien nachgeholfen haben. Sicher jedoch ist, dass Wilhelm II. in der Hochkönigsburg eine Möglichkeit sah, die Hohenzollern als rechtmäßige Nachfolger der beiden kaiserlichen Dynastien der Staufer und der Habsburger darzustellen. Er nahm das Geschenk an und beauftragte den Architekten und Burgenforscher Bodo Ebhardt mit dem Wiederaufbau.
Für die Elsässer war die Beauftragung von Bodo Ebhardt ein Glücksgriff. Denn als passionierter Burgenforscher und Spezialist für mittelalterliche Bauten war es dem gebürtigen Bremer wichtig, die Hochkönigsburg nach wissenschaftlichen Kriterien möglichst authentisch wieder auferstehen zu lassen.
Dazu ließ der spätere Präsident der Deutschen Burgenvereinigung einen Großteil der erhaltenen Mauern untersuchen und auf dem gesamten Gelände Ausgrabungen durchführen, während er die Archive Europas durchforstet und einige Burgen des 16. Jahrhunderts besichtigt.
Mit einem bis dahin nicht gekannten Aufwand wurde ab 1900 die eigentliche Restauration vorangetrieben. Um die Lasten mit einer Dampflok transportieren zu können, verlegten die Arbeiter zwischen dem West- und dem Ostteil der Baustelle ein 60 cm breites Gleis. Danach musste »Hilda«, so nannten sie die Lok, vom Bahnhof in Schlettstadt an ihren Bestimmungsort gebracht werden. Hier soll die Zugkraft von 30 Pferden nötig gewesen sein, um die Steigung von der elsässischen Ebene bis hoch auf das Felsplateau zu bewältigen.
Auch sonst gingen mit dem Wiederaufbau einige Innovationen einher. So ließ Ebhardt eine Pumpstation errichten, um den Aufwand für den Wassertransport zu minimieren. Wie sehr er dabei auf Qualität achtete, zeigt, dass die Station noch bis Ende 2012 in Betrieb war. Auch erhielt die Baustelle eine eigene Sandsteinmühle, die den benötigten Sand direkt vor Ort produzierte. 1901 und 1902 folgten zwei mit Strom betriebene Kräne sowie das eigens für die Hochkönigsburg installierte Stromaggregat.
In Spitzenzeiten waren bis zu 220 Arbeiter auf der Baustelle tätig. Und nicht wenige konnten daheim von Dingen berichten, die sie von daheim nicht kannten. So konnte die Hochkönigsburg dank des Stromaggregats künstlich beleuchtet werden, während man sich in den Dörfern am Fuß der Burg zum Teil bis nach dem Ersten Weltkrieg gedulden musste, eh auch dort der Fortschritt mit elektrischem Licht einzog. Die Absicht des Kaisers, die Ruine in ein Museum zu verwandeln, gelingt dadurch bereits während der Bauphase.
So führen die vielen Neuerungen dazu, dass ab 1904 Führungen auf der Baustelle ermöglicht werden. Die ersten Besucher wurden dabei zugleich Zeuge der akribischen Arbeit Ebhardts. Um erhaltene und restaurierte Teile der Burg auch später noch voneinander unterscheiden zu können, ließ er in die ersetzten Quader Zeichen einschlagen. Entsprechend der Restaurationszeit von 1901 bis 1908 finden wir heute acht dieser Symbole auf dem Rundgang, müssen dafür aber natürlich genau hingucken.
Der Zugang in die Hochkönigsburg erfolgt heute über eine sacht ansteigende Rampe. Diese beginnt am östlichen Ende der Burg und führt uns entlang der Südseite sowie mit ersten schönen Blicken auf die Türme und Mauern hoch zum Besuchereingang der Burg. Je nach Andrang öffnet oberhalb der ersten Kassen gerne ein weiteres, oft weniger stark frequentiertes Kassenhäusle. So stehen wir bald vor dem Eingangstor mit der darüber in den Stein gemeißelten Inschrift: »Diese Burg ward wieder hergestellt durch Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preussen.«
Wir betreten die Hochkönigsburg über den unteren Burghof mit der Herberge, der Schmiede und der Mühle. So wie wir uns orientiert haben, nehmen wir die teils überdachten Stufen hoch zur Zugbrücke. An einem Brunnen vorbei gelangen wir in den Innenhof. Voilà, schon befinden wir uns in der Mitte der insgesamt 270 Meter langen und rund 40 Meter breiten Festungsanlage. Gerne halten wir kurz inne und lassen den Blick über die umliegenden Gemächer, die Außenseite der Kapelle und den imposanten Bergfried schweifen.
Weiter geht es durch das Löwentor zum 62 Meter tiefen Brunnen. Dieser befand sich ursprünglich am Rand des Bergsporns, wurde nach dem Aufkommen der Artillerie aber mit einem zusätzlichen Turm geschützt. Als Nächstes kommen wir zum Vorratsraum. Er beherbergt eine ausführliche, in drei Sprachen erläuterte Dokumentation über die Restaurierung der Hochkönigsburg.
Hier erfahren wir, dass in der Burg einer der ersten elektrisch betriebenen Staubsauger zum Einsatz kam. Schließlich war schon zu Beginn der Arbeiten das erklärte Ziel, die Festung in ein Museum zu verwandeln. Also musste sie auch herzeigbar sein. Ein Modell zeigt außerdem den Zustand der Hochkönigsburg zum Zeitpunkt vor der Restaurierung. Immerhin zwei Drittel der alten Bausubstanz waren damals noch erhalten.
Nach einem Blick auf die nördliche Festungsmauer wenden wir uns der ebenfalls auf der Nordseite der Burg gelegenen Küche zu. Direkt daneben befindet sich die Zisterne. Sie wurde durch das auf den Dachflächen anfallende Regenwasser gespeist. Zusätzlich wurde auch Wasser von außerhalb in die Burg getragen. Der Aufbau über der Zisterne wurde vom Architekten Bodo Ebhardt entworfen.
Hier hat es sich der Bremer auch nicht nehmen lassen, sich an einem der vier Eckpfeiler - mit einem Zirkel in der Hand - abzubilden. Ob die Zisterne vor der Zerstörung der Burg bereits ein Dach trug, wissen wir nicht. Wohl aber war es eine schon im Mittelalter gängige Praxis, um das Trinkwasser vor feindlichen Beschuss mit Fäkalien und anderen ekligen Sachen zu schützen.
Durch einen neugotischen Treppenturm erfolgt nahe der Küche der Aufstieg zu den Wohntrakten der Hochkönigsburg. Auf der Südseite befinden sich die Gemächer der Familie von Thierstein. Diese Räume besitzen auf der Südseite einen zum Hof ausgerichteten Balkon. Er ermöglichte den Dienern, ihre Arbeit zu verrichten, ohne die privaten Zimmer durchqueren zu müssen. Leider ist der Zutritt auf den Balkon untersagt, sodass wir uns zunächst der Nordseite mit den Zimmern der Gäste und der Kaiserin zuwenden.
Die hier verarbeiteten Materialien für den Tisch, mehrere Stühle, Kommoden und einer mitten im Raum stehenden Truhe orientieren sich an dem, was im 15. Jahrhundert vor allem eingesetzt wurde: Holz. In einer Ecke des Zimmers steht ein kunstvoll verzierter Kachelofen. Er zählt zu den Dingen, die zwar nicht dem Original entsprechen, aber nach einer mittelalterlichen Vorlage neu gebaut wurde. Eine Besonderheit ist außerdem die Holztäfelung, welche neben der Zier auch als Wärmedämmung diente.
Den Zimmern der Kaiserin gegenüber befinden sich das Lothringer Zimmer und der Kaisersaal. Letzterer ist für seine Fresken aus dem frühen 20. Jahrhundert bekannt. So sehen wir über dem großen Kamin des Saals den Heiligen Georg nach seinem erfolgreichen Kampf gegen einen Drachen und den »wilden Mann«, eine Figur der niederen Mythologie. Auch das Wappen der Hohenzollern und eine weitere Darstellung Bodo Ebhardts sind zu sehen. Über allem steht der Reichsadler, der von der Decke auf die Besucher herabblickt und vom Leitspruch Preußens begleitet wird: »Gott mit uns.«
Als Nächstes besuchen wir die Burgkapelle. Räumlich gesehen, beansprucht sie einen verschwindend kleinen Teil des Wohntrakts. Um den mangelnden Platz auszugleichen, erstreckt sie sich jedoch über zwei Stockwerke. So konnte der Pfarrer unten in Ruhe Gottesdienst halten, während sich die Oberen in aller Seelenruhe oder auch komplett weggedöst vom Wort Gottes berieseln ließen. An Fotografen hat hier offensichtlich niemand gedacht, womit den Raum nur kurz auf uns wirken lassen, eh wir unseren Rundgang fortsetzen.
In den kleineren Zimmern der zweiten Etage auf der Südseite entdecken wir weitere geschmiedete Kachelöfen und umfasste Kamine sowie einige weitere kunstvoll verzierte Schränke, Truhen und Kisten. Schließlich aber begeben wir uns wieder in die erste Etage, wo wir einen Blick in den unteren Teil der Kapelle werfen, eh wir den Jagdtrophäensaal erreichen. An den Wänden zeugen einige Geweihe von erfolgreichen Jagden und auch der Leuchter wird von Geweihen gebildet. Tod liegt in der Luft. Ansonsten ist der Raum eher schlicht gehalten.
Vom Jagdtrophäensaal geht es direkt in den Waffensaal. Neben einer Sammlung an Hieb- und Stichwaffen aus dem späten Mittelalter sind hier einige Wappen zu sehen, welche mit der Geschichte der Hochkönigsburg verbunden sind. Als Bildmotiv begegnet uns hier der Doppeladler, das Wappentier und Symbol der Habsburger Dynastie schlechthin. Ansonsten ist auch dieser Raum seinem Zweck entsprechend eher schlicht gehalten. Da uns auch der alte, seit Ewigkeiten in seiner Rüstung steckende Ritter nicht aufhalten kann, steuern wir bald das Große Bollwerk an.
Unser Zugang zum Oberen Garten erfolgt durch den Waffensaal der Hochkönigsburg. Der Garten zählt zu den Elementen der Festung, bei denen vom Gesamtkonzept, die Burg in den Zustand des 15. Jahrhunderts zurück zu versetzen, abgewichen wurde. Denn zu der Zeit befanden noch eine Bäckerei und ein Baderaum sich auf dem Areal. Für die Anlage des Oberen Gartens im 16. Jahrhundert wurden diese beiden Einrichtungen in das Große Bollwerk verlegt.
Der westliche Zugang in den Oberen Garten erfolgt durch ein Tor mit einem Wappen des Österreichischen Kaisers. Hierbei handelt es sich um einen Nachbau des Türsturzes, den Bodo Ebhardts Arbeiter im Bereich des Großen Bollwerks entdeckt hatten. Bei der Restaurierung hat Ebhardt die romanischen Maueröffnungen und Latrinentüren gelassen, um die Position der ehemaligen Gebäude zu markieren.
Nahe eines überdachten Wehrgangs befindet sich ein weiterer Brunnen. Dieser ist im Stil der Neorenaissance des 19. Jahrhunderts erbaut und enthält eine Filterzisterne. Indem das anfallende Regenwasser durch Sand und Steine sickerte, wurde es zunächst gereinigt, eh es der Hauptleitung zugeführt wurde. Heute werden weite Teile des Gartens von hohen Bäumen eingenommen. Der westliche Teil des Gartens schließlich ist über eine zweite Zugbrücke mit dem Großen Bollwerk verbunden.
Das Große Bollwerk befindet sich an der naturgegeben empfindlichsten Stelle der Burg. Die Artillerieplattform wird von zwei Türmen flankiert, die uns einen herrlichen Blick über weite Teile der Hochkönigsburg sowie die Elsässische Ebene eröffnen. Wer gute Augen hat, kann entlang der Vogesen zahlreiche andere Burgen sehen, so etwa im Süden das Burgentrio von Ribeauvillé, die als Kasten unverwechselbare Hohlandsbourg und die Drei Exen von Eguisheim.
Für das Große Bollwerk selbst können wir uns gerne etwas mehr Zeit gönnen. Neben altertümlichen Kanonen informiert eine Ausstellung über die Arbeiten zur Restaurierung der Burg und Sorgfalt, mit der Ebhardt die vor Ort gefundenen Artefakte behandelte. So sehen wir eine Wetterfahne mit dem Wappen der Thiersteins, welche ursprünglich auf einem der Burgtürme angebracht war. Zudem sind hier ausgewählte Fund- und Bruchstücke ausgestellt: Eisenteile von Türen und Truhen, Ofenkacheln, Dachziegel, Glasscherben und vieles mehr, was hier vom 12. bis 17. Jahrhundert in Gebrauch war und die Zeit mehr oder weniger gut überdauert hat.
Zuletzt begeben wir uns in den Mittelalterlichen Garten. Er wurde 2001 in der Annahme angelegt, dass die Festung einst von einem solchen Garten umgeben war. Er befindet sich auf der Südseite der Burg bzw. außerhalb der Befestigungsanlagen, sodass hier mehr Licht einfällt. In den mit Ästen akkurat eingefassten Hochbeeten wachsen Kräuter und Gemüse, aber auch Rosen, Ringelblumen und Malven. Kleine Schilder helfen, die Pflanzen zu bestimmen. Anders als die inneren Teile der Festung ist der Garten von Mai bis Ende September frei zugänglich und mit seinen lauschigen Plätzchen ein schöner Ort zum Verweilen und der Erlebte nachhallen zu lassen.