Mit gemischten Gefühlen fahren wir zur Feste Kaiser Wilhelm II., das Fort de Mutzig. Wie uns geht es vielen Besuchern, die den Weg auf das Plateau zwischen der elsässischen Ebene und den Vogesen nehmen. Denn hinter dem kaiserlichen Namen verbirgt sich die größte deutsche Festung, die vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurde. Die Festung ist damit alles andere als ein Ausflugsziel für unbeschwerte Stunden. Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Kriegs (1870/71) wurde die Revanche der Franzosen erwartet.
Um dem zu begegnen, sollte mit der Feste Kaiser Wilhelm II. das Breuschtal abgeriegelt und ein erwarteter Einmarsch französischer Truppen über die Burgunder Pforte nach Straßburg unterbunden werden. Mit anderen Worten: schon kurz nach dem letzten militärischen Konflikt wurden mit der Festung Vorkehrungen für den nächsten Krieg getroffen. Dennoch zählen wir das Fort de Mutzig zu den wichtigsten Zielen im Elsass. Auch deshalb, weil sich das kaiserliche Bollwerk längst zu einem Ort des Friedens entwickelt hat.
Die Festung erstreckt sich über eine Fläche von 254 Hektar und der Weg einmal um die ganze Anlage herum ist elf Kilometer lang. Zugänglich ist jedoch nur ein kleiner Teil der Feste Kaiser Wilhelm II.. Der größere Teil ist Sperrgelände. Auf diesem soll sich eine streng geheime Abhörstation des Militärs befinden. Das zumindest bekamen wir regelmäßig zu hören, wenn über die Festung die Rede war – stets gefolgt von dem Hinweis: »Aber das habt ihr nicht von mir.«
Auf dem Freigelände empfängt uns Bernhard Just. Sein perfektes Deutsch – oder eher badischer Dialekt – versteht sich von selbst. Er ist Deutscher. Der Verein zum Erhalt der Feste freilich ist es nicht. Schließlich befinden wir uns auf französischem Boden. Für die Vereinsmitglieder ist dies nachrangig, man arbeitet selbstverständlich Hand in Hand. Überhaupt ist die Stimmung ausgesprochen freundlich. Und friedlich. Dann beginnt die Führung.
Schirmlafettenbatterie auf der Feste Kaiser Wilhelm II.
Der Zugang erfolgt von dem Parkplatz mit dem kleinen Kassenhaus durch einen Graben, dem früheren Schwachpunkt der Festung. Am hinteren Ende führt ein langer Gang in das Innere. Es ist die Seite, die nach Frankreich zeigt. Und genau dorthin zweigen mehrere Seitenstollen ab. Diese hatte man für den Fall angelegt, dass der Feind miniert, also unterirdisch angreifen sollte.
Um dem zu begegnen, sollte im eigenen Stollen eine kleine Sprengladung gezündet werden, welche den feindlichen Stollen eindrückt, »natürlich mit Inhalt« ergänzt Bernhard Just. »Das ist eine uralte Technik, die auch schon die Türken vor Wien – das ist ein paar Wochen her – angewandt haben.« Auch in der Antike wurden auf diese Weise Festungen angegriffen.
Doch zu einem solchen Angriff kam es bei Mutzig nicht. Einzig am 18. August 1914 startete eine französische Reitertruppe einen Scheinangriff auf die Festung, »um zu schauen, ob da überhaupt jemand sitzt und aufpasst«, erklärt Bernhard Just. Weil es auch danach nie zu einen ernsthaften Angriff auf die Festung kam, blieb die größtenteils unterirdische Anlage bis heute weitestgehend erhalten.
Für Technikbegeisterte ist die kaiserliche Festung damit ein Eldorado. Erstmals zum Einsatz kamen beim Bau der Festung in Industrien hergestellte Betonsteine. Sie gelten als Vorreiter der Fertigbauweise. Den elektrischen Strom lieferten monströse Siemens-Dieselgeneratoren und 1898 wurde hier mit dem ersten deutschen Funktelefon eine Verbindung ins 20 Kilometer entfernte Straßburg hergestellt.
Viele Neuerungen in der Feste Kaiser Wilhelm II. erklären sich daraus, dass sie als erste deutsche Festung nach der Entwicklung von Menilit, einem sehr viel stärkeren Sprengstoff als Schwarzpulver, gebaut wurde. Bis dahin hatte es gereicht, auf die im Mittelalter üblichen Türme zu verzichten und die Festungen stattdessen sehr niedrig zu bauen. Breite Erdwälle sollten die Festung schützen und geometrische Formen den eigenen Geschützen ermöglichen, den Feind auch bei Vorrücken bis an den Festungswall ins Visier nehmen zu können.
Bei einem Beschuss mit Menilit reichte dies alles nicht mehr aus. Um einem Beschuss mit diesem neuen, verheerenden Sprengstoff bestehen zu können, wurde in der Feste Kaiser Wilhelm II. erstmals Beton und Panzerstahl verbaut. Ebenfalls neu war, dass nahezu alle wichtigen Teile tief im Erdreich gebaut wurden und die Geschütze nach ihrem Einsatz wieder heruntergefahren bzw. abgesenkt werden konnten. Mit all diesen Neuerungen gilt die Festung als Prototyp des modernen, unterirdischen Festungsbaus.
Eine der größten Herausforderungen war jedoch die innere Gebäudeversorgung. Dazu förderten Pumpen der Firma Weise & Monski Grundwasser aus einer Tiefe von 95 bis 300 Metern, welches über Leitungen in die einzelnen Gebäudeteile sowie in Zwischenspeicher gepumpt wurde. Zudem verfügten die in den Berg hinein gebauten Kasernen über eigene Küchen und Bäckereien, OP-Säle und Krankenstationen, Werkstätten und vieles mehr. Damit waren die Kasernen bis zu drei Monate autark – unabhängig voneinander.
Allerdings dürften wohl die wenigsten eine so lange Zeit freiwillig innerhalb der Festung verbringen wollen. So beschleicht uns doch wieder ein bedrückendes Gefühl, als wir zu den Mannschaftsquartieren kommen. Eng an eng reihen sich hier aus Blech gefertigte Betten an- und übereinander. Es gibt kein natürliches Licht und auch sonst nichts, was den Räumen auch nur einen Hauch an Behaglichkeit verleiht. Darüber kann auch eine alte Aufnahme mit einem Schild »Unser gemütliches Heim« nicht hinwegtäuschen.
Eine weitere Herausforderung stellte die Notdurft der Soldaten. Große Toilettenanlagen unter Tage kannte man damals nicht. Wohl aber das Problem: von den Latrinen drohten Gase aufzusteigen, die sich bei Kontakt mit Feuer oder Funken explosionsartig entzünden konnten. Um dieses Risiko auszuschließen, wurden die Toiletten mit Abdeckungen versehen und austretende Gase über ein Entlüftungssystem aus der Festung geleitet.
Überrascht sind wir schließlich, wie unterhaltsam, zugleich aber auch kritisch, Bernhard Just die Militärgeschichte vorträgt. Dazu zählen Bemerkungen, wie die eine Seite, die meinte, von der anderen alles zu wissen, annehmen konnte, dass die andere Seite nicht ebenfalls alles wusste? Dazu zählt genauso der Hinweis, dass jeder, der schon einmal die Redewendung 08/15 in den Mund genommen hat, ein Militarist ist. Denn es bezeichnet ein leichtes Maschinengewehr, welches 1915 auf Grundlage eines 1908 entwickelten, schweren Maschinengewehrs dahingehend geändert wurde, dass für den Gebrauch nur ein Soldat notwendig war.
Zuletzt ist es die Idee zweier Staatschefs (Konrad Adenauer und Charles de Gaulle), dass man ja auch mal miteinander reden könnte. In den 1950er Jahren hatten sie damit den Grundstein für die heute enge Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland gelegt. Oder wie es Bernhard Just am Ende der Führung formuliert: »Man hat die Menschen jahrhundertelang betrogen um ihre Zukunft und brachte keine Lösung. Es ging immer nur um Revanche, Revanche, Revanche – aber das funktioniert nicht. Es braucht immer erst einen, der zur Vernunft kommt und sagt, 'so, jetzt hört das Affentheater auf', anders geht's nicht.«
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Frieden von Frankfurt hielten sowohl Frankreich als auch das mit dem Präliminarfrieden von Versailles gegründete Deutsche Reich einen weiteren Krieg für unausweichlich. Beide Seiten entschieden sich dafür, die neu gezogene Grenze mit einer ganzen Reihe an Festungsanlagen gegen einem vermeintlichen Angriff der Gegenseite zu sichern.
Im Januar 1893 entschied Kaiser Wilhelm II., eine Feste oberhalb von Mutzig zu bauen. Die Grundsteinlegung des Forts erfolgte im April desselben Jahres. Ziel der Festung war es, die Rheinebene abzuriegeln und eine französische Offensive von Belfort aus zu unterbinden, sodass diese der deutschen Armee bei einem möglichen Vorstoß Richtung Belgien nicht in den Rücken fallen konnte.
Dieser Strategie entsprechend wurden die Geschütze hauptsächlich nach Osten und damit auf das eigene Land ausgerichtet. Von den zunächst fünf vorgesehenen Festungsanlagen wurden lediglich das Ostfort (1893) und das Westfort (1895) in einer bis dahin in Deutschland einzigartigen Dreiecksform realisiert. Anschließend wurden die Batterien, Infanterieräume, Beobachtungsstände und Unterkünfte über das Gelände verstreut und über ein ausgeklügeltes Tunnelsystem miteinander verbunden. Mit Ende des Ersten Weltkriegs fiel die Festung unversehrt an Frankreich und wurde in das System der geplanten Rheinverteidigung integriert.
Nachdem am 13. Juni 1940 der Befehl an die französischen Verbände erging, die Rheinstellungen aufzugeben, wurde auch die zu dem Zeitpunkt Position de Mutzig genannte Festung kampflos geräumt. Tragisch: während Teile der 215. Infanterie-Division die verlassene Festung einnahmen, erfolgte nahezu zeitgleich einen Stuka-Angriff. Dem aus den eigenen Reihen befohlenen Luftangriff fielen über 70 deutsche Soldaten zum Opfer. Am 26. November 1944 umstellten zuletzt US-Amerikanische Verbände die Festung und zwangen die deutschen Truppen aufgrund der abgeschnittenen Nachschubwege zur Aufgabe.
Seit 1984 sorgt sich der Verein Fort de Mutzig um den Erhalt und die Restaurierung der Feste Kaiser Wilhelm II.. Auch wenn die Festung nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend sich selbst überlassen blieb, erwartete die ersten Mitglieder keine leichte Aufgabe: der Strom war schon lange abgeschaltet, die elektrischen Kabel nicht mehr intakt, das Metall durch die Feuchtigkeit stark verrostet und viele Teile der inneren Einrichtung geplündert. Dennoch dauerte es nur zwei Jahre, bis die ersten Besucher auf einem damals noch provisorisch beleuchteten Rundgang die unterirdischen Hohlgänge besichtigen konnten.
Seither hat der französische Verein, dem auch viele Baden-Württemberger angehören, 50 Gebäude restauriert und wie die alten Dieselgeneratoren einige technische Anlagen wieder instand gesetzt. Seit 2014 begrüßt wieder ein Reichsadler die Besucher der Festung. Das aus Kunstharz geschaffene Wappentier thront auf einem aus Sandsteinen errichteten Namensstein und ersetzt den ursprünglich bronzenen Adler, den ein amerikanischer Soldat 1945 mitgenommen haben soll. Ebenfalls ersetzt wurde die Marmortafel, die 1918 verschwunden war. Das ab 1918 »Position de Mutzig« genannte Fort erhielt damit auch offiziell seinen ursprünglichen Namen zurück.
Ab Strasbourg über die A 35 und A 352/ D 1420 Richtung Schirmeck fahren. Auf Höhe von Gresswiller nach Mutzig abfahren und der Beschilderung über die D 217, D 392 und Rue du Felsbourg sowie der Zufahrtsstraße »Im Pflanzlaegert« hoch zur Festung folgen. Vom Bahnhof in Mutzig führt außerdem ein beschilderter und 5,5 km langer Wanderweg hoch zur Feste Kaiser Wilhelm II.
GPS-Koordinaten 48.5587, 7.4569